LNU nimmt Stellung zu Freiflächen-Photovoltaik

Anfang des Jahres 2024 kam es zu einem Gespräch mit dem umweltpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Dr. Ralf Nolten, der zugleich Vorsitzender des Eifelvereins, einem Gründungsmitglied der LNU.
An dem Gespräch nahmen seitens der LNU der Vorsitzende Mark vom Hofe, der Schatzmeister und Mitglied des Regionalrats Köln, Rainer Polke, sowie der LNU-Geschäftsführer Rainer Fischer teil.
Bei dem Zusammentreffen im Landtag äußerte Dr. Nolten aus Sicht des Eifelvereins als Wanderverein mit dem Schwerpunkt Erholung in der freien Landschaft seine Bedenken gegen die auf Freiflächen, in der Regel landwirtschaftlich genutzt, zu errichtenden Photovoltaik-Anlagen. Sowohl der Flächenverlust selbst bei Mehrfachnutzung wie auch die Auswirkungen auf das Landschaftsbild, insbesondere in den Wandergebieten von Nordrhein-Westfalen bedürften einer intensiven Diskussion, an der sich die LNU mit einem Papier beteiligen sollte.
An diesem Papier haben LNU-Vorstand und Dr. Nolten bis zum Frühsommer gearbeitet und es mit den großen LNU-Mitgliedsvereinen, die im weitesten Sinne aus dem Wander- und Heimatbereich kommen, abgestimmt.
Wir halten das Papier für einen Denkanstoß und eine Argumentationshilfe, der sich alle LNU-Mitgliedsvereine gern bedienen können, sofern es in ihren Wirkungskreisen zu ähnlichen Projekten kommt.
LNU-Positionspapier zur Freiflächen-Photovoltaik
Die angestrebte Energiewende wird bundesweit nur zu erreichen sein, wenn die dafür notwendigen Anlagen zeitnah erstellt werden können. Dabei zeichnet sich zunehmend ein politischer und gesellschaftlicher Konflikt über die Bereitstellung und die damit einher gehende Nutzung von Flächen ab. Freiflächen sind nicht beliebig vermehrbar, und insbesondere der Freiraum genießt unter landschaftsökologischen und naturschutzfachlichen Kriterien in einem bevölkerungsreichen und dicht besiedelten Bundesland wie Nordrhein-Westfalen eine sehr hohe Bedeutung. Er ist nicht nur räumlicher Träger von Infrastruktur, sondern hat auch einen landschaftskulturellen Eigenwert und ist Heimat und Verbundenheit stiftend für Bewohner und Besucher gleichermaßen.
Bei der Planung bzw. dem Bau von Windenergieanlagen im Wald oder von Freiflächen-Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen müssen daher hohe Ansprüche an den Freiraum mit seinen unterschiedlichen Funktionen wie etwa, dem dort anzutreffenden Natur- und Artenschutz sowie des Kulturlandschaftserhalts und des Landschaftserlebens nachhaltige Berücksichtigung finden. Weil zur gesellschaftlich gewünschten Förderung des Ausbaus Erneuerbarer Energien im Zuge von Beschleunigungsverfahren und reduzierten Umweltverträglichkeitsprüfungen diese Gesichtspunkte auf den Planungsebenen nur noch von eingeschränkter Wahrnehmung und Bedeutung zu sein scheinen, erhebt die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) NRW, ein Dachverband von 112 Einzel-Mitgliedsverbänden, mit ihren mitgliederstarken Mitgliedsverbänden aus der Heimat- und Kulturlandschaftspflege sowie der Erholung in der freien Landschaft – u.a. Deutscher Alpenverein, Lippischer Heimatbund, Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Sauerländischer Gebirgsverein, Eifelverein, Naturfreunde – folgende Forderungen:
1. Grundsätzlich gilt der Schutz des Freiraums; er hat Priorität.
2. Es sollten vorrangig bereits versiegelte Flächen, wie Dächer von landwirtschaftlichen Betrieben, Gewerbe/Industrieanlagen, Lagerhallen, Turnhallen und Schulen sowie andere öffentlichen Gebäuden und Parkplätzen/Parkhäusern für die Errichtung von Photovoltaikanlagen genutzt werden. In Verbindung mit dem Freiraumschutz besteht nur hier dann auch die Möglichkeit die Wärme, die zwangsläufig von Photovoltaik-Anlagen emittiert wird, unmittelbar abzuleiten und zu nutzen.
3. Unzerschnittene, verkehrsarme Räume sind tabu. Photovoltaik-Anlagen im Freiland werden in aller Regel auf landwirtschaftlich genutzten Flächen errichtet werden; damit gehen sowohl ein Ernte- wie auch ein kulturlandschaftlicher Verlust einher. Da die Landwirtschaft in der Vergangenheit durch den Flächenanspruch von Gewerbe- und Industriegebieten, Neubausiedlungen, Straßenbauten reichlich Fläche zur Verfügung stellen musste – bis heute auch im Rheinischen Revier -, ohne dass neue landwirtschaftliche Flächen geschaffen wurden, führt dies zwangsläufig zu einer intensiveren Nutzung vorhandener Flächen.
4. Schutzgebiete kommen als PV Standorte nicht in Betracht. FFH-Gebiete, Naturschutzgebiete, Vogelschutzgebiete sind aufgrund ihres vielfältigen und/oder besonderen Arteninventars unter einen erhöhten Schutz gestellt worden, der beibehalten werden muss. Landschaftsschutzgebiete sind kraft Bundes- und Landesnaturschutzgesetz wegen ihrer „Eigenart, Vielfalt und Schönheit“ ausgewiesen worden. Ihnen obliegt großflächig der Landschaftserhalt, weswegen zum Teil der gesamte unbebaute Außenbereich von Großräumen, wie die Mittelgebirge unter Schutz gestellt worden sind.
5. Biotopvernetzungen und -verbindungen sind zu beachten. Der Biotopschutz und der Ausbau der Vernetzungsstrukturen sind national und international anerkannte Ziele des Natur- und Landschaftsschutzes und somit bei den Planungen vor Ort zu beachten.
6. Eingriffe in das Landschaftsbild sind kritisch zu würdigen und zu minimieren. Insbesondere der Schutzzweck Eigenart und Schönheit einer Landschaft hebt auf Landschaftserleben, Naturerleben und landschaftstypische ästhetische Gesichtspunkte ab. Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen verändern dieses Bild über Jahrzehnte und stören, insbesondere dort, wo ein weiter Blick über die Landschaft möglich ist, den Erlebniswert. Dies trifft insbesondere auf Gebiete in NRW zu, die für die Naherholung von erheblicher Bedeutung sind und entsprechend ein detailliertes Wanderwegesystem mit naturkundlichen Besonderheiten aufweisen: in den Bördelandschaften, wie auch in den mit vielfältigen Landschaftselementen ausgestatteten Mittelgebirgsbereichen mit einem häufigen Wandel von Wald- und Wiesenbereichen.
7. Der Artenschutz und die Artenvielfalt sind zu beachten. Die Inanspruchnahme einer vielfältig gegliederten Landschaft führt unweigerlich zu einem weiteren Verlust der Artenvielfalt in Natur und Landschaft, sowohl in der Flora wie in der Fauna. Studien unter anderem des LNU-Mitgliedsverbands Entomologischer Verein Krefeld haben in den letzten 30 Jahren nachgewiesen, dass 75% der Arten im Insektenbereich dramatisch zurückgegangen sind und die gegenwärtig ausgeübte Landnutzung daran nicht unbeteiligt ist. Flächenpotentiale sind nicht beliebig. Viele Vogelarten sind auf landwirtschaftlich genutzte Flächen angewiesen. Hervorzuheben sind insbesondere die Bodenbrüter. PV-Anlagen auf solch landwirtschaftlich genutzten Flächen nehmen diesen Vogelarten den Lebensraum, der an anderer Stelle nicht ohne weiteres zu finden ist.
8. Flächen des Vertragsnaturschutzes werden nicht großflächig überplant. Die über viele Jahre über den Vertragsnaturschutz entwickelten Acker- und Grünlandflächen werden mit ihrer Zweckbestimmung auch weiterhin geschützt.
9. Ausgleichsflächen dienen der Minderung der Beeinträchtigungen vor Ort. Durch geeignete Ausgleichsmaßnahmen sollen die negativen Wirkungen der Freiflächen-Photovoltaik auf gefährdete Arten und besonders sensible Lebensräume auf der Anlage selbst gemindert werden. Um eine zusätzliche Flächeninanspruchnahme zu vermindern, sind auch Ersatzzahlungen zur Förderung lokaler Biotopvernetzungsstrukturen möglich. Mit einem langfristigen Monitoring ist die Wirksamkeit der Kompensation zu erfassen.
10. Kombination von Windenergieanlagen mit PV Anlagen im Flachland. Damit wäre eine Bündelung der erforderlichen Leitungssysteme zu erreichen. Je näher Stromabnehmer am Entstehungsort sind, je weniger Leitungskilometer verlegt werden müssen, umso geringer ist der Eingriff in Natur und Landschaft. Die Forderung gilt nicht für Mittelgebirgslagen. Hier kann diese Herangehensweise zu besonders negativen Effekten, wie der Verspiegelung der Landschaft, Zerstörung des jeweiligen Landschaftsbildes, Einschnitt und Zerstörung von einheitlichen Nutzungsflächen an den Hängen und der Höhenkuppen führen, die unwiederbringlich sind und nicht kompensiert werden können.
11. Die landschafts- und standortgerechte Eingrünung der Freiflächen-PV ist vorzusehen. Dies gilt zusätzlich zu den aus Gründen des Herdenschutzes von Weidetieren und als Schutz vor Vandalismus errichten Zaunanlagen. Bei unvermeidlichen Flächenverlusten müssen diese naturverträglich gestaltet werden.
12. Bedeutsame Wegeführungen und Sichtachsen werden nicht tangiert. Bei der planerischen Festlegung von potentiellen Flächen für FF-PV sind die bedeutsamen Wegeführungen und Sichtachsen ebenso zu berücksichtigen wie die Wander- und Erholungsinfrastruktur. Historische Wanderrouten dürfen nicht beeinträchtigt werden. Zu Natur- und Kulturdenkmälern ist ein hinreichender Abstand zu halten. Überlegungen zu linienhaften PV-Strukturen (Solarpaneelen statt Weidezaun) werden abgelehnt.
Bei all diesen Überlegungen und Forderungen wird ein vorsichtiger und maßvoller Einstieg in die Freiflächen-Photovoltaik empfohlen. Die kommunale Planungshoheit wird gewahrt.
Wir sind sicher, dass die vorgenannten Kriterien lokal unterschiedliche Relevanz haben. Denn dafür zeichnet sich das Land NRW durch seinen Reichtum an Wald-, Wiesen- und Ackerflächen aus. Diese gilt es verstärkt zu schützen, dabei aber die energetische Entwicklung zu fördern und im Einklang mit Natur und Landschaft zu betrachten.
In diesem Sinn soll das Papier verstanden werden.